Der Abschied von Varkala fiel uns schwer. Wir verließen diesen wunderschönen Ort in dem festen Bewusstsein, zurückzukehren, irgendwann. Und in einem Taxi, in das wir viel Vertrauen setzten. 2 Tage zuvor hatten wir bei einem Agent einen „zuverlässigen“ und umsichtigen driver gebucht, was beim Agent selbst ein süffisantes Lächeln auf die Lippen zauberte. Besser Weichei als irgendwo in der Schlucht kleben, sag ich nur. Unser nächstes Ziel, das Periyar Nature Reserve, hieß Abschied vom Meer nehmen, denn Periyar liegt etwa 230 km nordöstlich von Varkala. Pünktlich wie die Eieruhr holte unser driver uns am Hotel ab, in einem wunderbaren, weich gepolstertem, klimatisiertem Gefährt und los ging die Fahrt.
230 km bedeutet in Indien etwa 5 h Fahrt. Unser driver fuhr zwar etwas relaxter als unser Höllenfahrer, der uns von Marari nach Varkala brachte, hatte aber durchaus den Anspruch, als erster anzukommen. Wo auch immer. Wir fühlten uns auf der Fahrt „einigermaßen“ sicher, das eine oder andere waghalsige Überholmanöver unseres Fahrers und entgegenkommender Gefährte ließ uns jedoch auch diesmal wieder das Blut in den Adern gefrieren. Vor allem die Challenge „Taxi versus Riksha“, bei der unser Taxi beim Überholen eine vor uns fahrende Riksha streifte. *kniiiirsch zänggg“ machte es deutlich hörbar. Panisch drehten mein Mann und ich uns um und erblickten eine gut sichtbare Schramme in der Haube der Riksha und einen fluchenden, wild gestikulierenden Rikshafahrer, der uns die Pest auf den Hals fluchte. Unser Fahrer fuhr völlig unbeeindruckt, nicht mal den Hauch eines Unrechtbewusstseins im Gesicht, weiter. Als mein Mann ihm zu verstehen gab, dass da doch wohl was passiert sei, bekam er die typisch indische Antwort für diese Situation: ausgiebiges Kopfwackeln und eine schlangenförmige Handbewegung, die eindeutig sagen sollte: „What the fuck!„, auf indisch eben, ohne Mittelfinger. Dieser Zwischenfall beschäftigte uns noch eine Weile und wir fingen an darüber zu spekulieren, welche Konsequenzen es wohl haben könnte, wenn man in Deutschland irgendein Gefährt rammen und dann mit einer schlangenförmigen Handbewegung kopfwackelnd weiterfuhr. Sehr amüsanter Gedanke 🙂
Die Fahrt indes war traumhaft. Die Straße führte in Serpentinen stets bergauf, durch dichtes Grün, mit famosen Ausblicken in Täler und Schluchten, die Luft wurde kühler, frischer, am Wegesrand boten sich erneut tolle Fotomotive:
Im Dezember finden in Kerala viele religiöse Feste statt. Leider haben wir es versäumt, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein und ein echtes Tempelfest zu erleben (nächstes Mal!). Zum Trost gab es Heerscharen von Pilgern, die die Straßen entlang marschierten, ihr Reisegepäck auf dem Kopf tragend. Alle unterwegs zum gleichen Tempel, dessen Namen ich vergessen habe, manche von ihnen 1 Woche lang, zu Fuß. Auch hier wieder freundliches Winken und Lächeln, wohin auch immer ich meine Kamera schwenkte.
Ein wenig durchgerüttelt erreichten wir am frühen Nachmittag unser Ziel: die kleine Stadt Thekkady, unmittelbar an den Nationalpark und das Tigerreservat Periyar Nature Reserve angrenzend. Die Regentropfen, die schon den ganzen Tag über ab und an an die Windschutzscheibe tröpfelten, hatten sich zu einem handfesten Wolkenbruch gemausert, und ich war ganz froh, als ich mich im trockenen Taxi verstecken konnte, während die Parkeintritts-Modalitäten geregelt wurden. Wir dachten übrigens die ganze Zeit, wir hätten noch die Ausläufer des Monsuns im Nacken, denn wir bekamen doch den einen oder anderen Regen mit. Dank des in Kerala beliebten Wetter-Small talks erfuhren wir jedoch, dass keinesfalls der Monsun daran schuld war, sondern vielmehr ein Taifun, der erst kürzlich Tamil Nadu streifte. Das mitunter feuchte Klima in Kerala waren Ausläufer dieses Taifuns. Wie auch immer, als wir unseren Fahrer entlöhnen und das Taxi verlassen mussten, regnete es in Strömen.
War uns in dem Moment aber herzlich egal. Viel zu groß war die Vorfreude und Aufregung auf unsere Unterkunft, die wir zuvor im Internet gebucht hatten. Das KTDC Lake Palace Hotel. Wir beschränkten uns auf unserer gesamten Reise auf homestays der mittleren Preiskategorie, was in Kerala etwa den Preis von 20-30 €/Nacht/DZ bedeutet, in Periyar ließen wir es jedoch 2 Nächte lang krachen. Muss auch mal sein! Das Lake Palace ist eine ehemalige Maharaja-Sommerresidenz, die ein Maharaja aufgrund seiner großen Naturverbundenheit errichten ließ. Er beließ es nicht bei dem Bau seines Palastes, sondern ließ auch einen künstlichen See, den Lake Periyar, anlegen und erklärte ein ca 1000 qkm großes Stück Natur zum Periyar Tiger Nature Reserve. Danke, lieber Maharaja, für dieses wunderbare Geschenk! Das Lake Palace liegt auf einer Halbinsel im See und ist nur mit der Fähre erreichbar. Während wir auf die Fähre warteten, gab es auch diesmal genug Aufregendes zu sehen, das einem die Zeit vertrieb.
Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass das Lake Palace ein ganz elegantes Anwesen ist. Stilecht gab es bereits am Fähranlegeplatz ein Stationshäuschen des Hotels, in dem man willkommen geheißen und zum Steg geleitet wurde. Wir standen also nicht einfach nur alleine im Regen, sondern hatten vielmehr eine 2-Mann-Regenschirm-Eskorte bei uns, die sich köstlich über mein Regencape amüsierte. Die Fahrt mit der Fähre zum Hotel war sehr reizvoll, wir konnten bereits einen kleinen Vorgeschmack auf die reichhaltige Tierwelt des Parks werfen und fuhren an grasenden Sambahirschen und nistenden Kormoranen vorbei.
Lake Palace ist ein echter Luxus. Allein der Anblick, wenn man sich dem Anwesen vom See aus nähert. Und dann der 1. Eindruck. Wow. Den Charme vergangener, kostbarer Zeiten versprühend, liegt es großzügig gebaut in einem riesigen Park, bietet wahrlich eines Maharaja würdige Zimmer, Liegebänke mit Seeblick, Park eigene wilde Tiere, wie etwa Affen, Schweine, Pfaue und einen einzigartigen Service. Wir kamen uns vor wie der Maharaja selbst, so wurden wir verwöhnt. Ja, ich geb ja zu, ist sicher auch ein bisschen dekadent, aber wir fanden es einfach nur geil. Vor allem die stilecht präsentierte Tea time am Seeufer.
Und der grandiose Ausblick erst:
Wir verlebten 2 himmlische Tage in Periyar. Am nächsten Tag brach die Sonne durch und ließ die Natur erstrahlen, wir machten eine Bootstour über den See und kamen in den Genuss eines geführten Nature walks. In Periyar gibt es 45 Tiger und etwa 1000 Elefanten. Natürlich hofften wir, wenigstens 1 davon zu sehen, wussten jedoch, dass die Chance, eins dieser prachtvollen aber extrem scheuen Tiere zu sichten, gegen Null tendierte. So war es dann auch, wir sahen keinen Tiger und waren gar nicht mal sooo enttäuscht. Schließlich waren zu Fuß unterwegs! Die Vorstellung, plötzlich Aug´ in Aug´ einem gestreiften Koloss von Tiger oder einem trompetendem Elefantenbullen gegenüber zu stehen, fand ich nicht besonders verlockend. Wir erlebten auf dem Dschungelspaziergang auch so genug Spannendes. Nachdem wir mit kniehohen Blutegel-Schutz-Stulpen ausgestattet wurden, hatten wir eine sehr abenteuerliche Flussüberquerung zu bewältigen.
Kaum am anderen Ufer angekommen, erfuhren wir, wie sinnvoll die Stulpen waren. Sofort hefteten sich Heerscharen von kleinen Blutegeln an Schuhe und Stulpen. Hochgradig ekelerregend. Unser Führer streute uns zum Schutz Tabakpulver über Schuhe und Stulpen und zum Glück nahmen die Blutegel schnell reißaus. Unser Naturführer war ein tribal . So nennt man in Indien Angehörige von Stämmen, meist Bergstämmen. Was er uns erzählte, war ungemein interessant. So erfuhren wir, dass es im Periyar Gebiet ursprünglich zahlreiche tribal Stämme gab, die im Zuge der Umwandlung Periyars in ein Naturreservat nach Thekkady umgesiedelt wurden. Dies geschah allerdings nicht, wie in vielen anderen Ländern, mit dem Zeil, diese Volksgruppen auszugrenzen. Etwa, indem man sie in Reservate ansiedelte, in dem ihre Identität gleich dem Sinn ihres Dasein den Bach runterging und meist einen Sinn im Alkoholgenuss wiederfand. Hier gibt es eine andere Regelung. Die tribals werden von der Regierung im Nationalpark beschäftigt. Als Ranger und Fremdenführer zum Beispiel. Das Recht der Jagd, im fischreichen See und wildreichen Wald, liegt ebenfalls bei den tribals. Kluge Sache. Die Regierung profitiert vom fundierten Wissen und Können der tribals, und diese widerum identifizieren sich mit dem Land und sind stolz darauf. Zumindest diejenigen, mit denen wir sprachen. Unser Führer wusste enorm viel. Mit großen Lauschern hörten wir ihm zu, wie er uns den Kreislauf der Natur in Periyar erläuterte und uns geübten Blickes Pflanzen, Wurzeln und Tiere zeigte, die wir selbst nie entdeckt hätten. Spannend wie ein Krimi.
Am Nachmittag lagen wir wohlig ermattet auf den Panoramabänken unseres Hotels, nahmen eine Tea time zu uns und hatten das sagenhafte Glück, Zeuge einer dramatischen Jagd zu werden: Ein Rudel der gefürchteten wild dogs jagte eine Herde Sambahirsche. 3 der Hirsche versuchten ihr Leben durch einen beherzten Sprung in den See zu retten, 6 wild dogs sprangen hinterher und lieferten sich einen blutigen Kampf mit den Hirschen im Wasser. 1 Hirsch entkam, er schwamm quer über den See ans andere Ufer, 2 Hirsche mussten dran glauben und wurden ans Ufer gezerrt. Puh, eigentlich nichts für meine Nerven, weil mir die Hirsche so unendlich leid taten. Mitfühlend wurde ich vom Hotelchef darüber aufgeklärt, dass das nun mal so ist, in der Natur und, dass die Jäger sehr hungrig gewesen sein mussten, möglicherweise Tage nichts mehr erlegt hatten und auch um das Überleben kämpfen. Wie die Hirsche selbst. So konnte ich in dieser Nacht doch noch beruhigt schlafen.