Wo war ich stehengeblieben? Richtig, in Torres del Paine. Ihr erinnert euch noch an die schöne Wanderung bei stürmischem Wetter und an das kalte Hotelzimmer mit der kaputten Heizung? Dann habe ich jetzt 2 gute Nachrichten für euch: Numero Uno: Die Heizung war repariert und wir verbrachten eine kuschelig warme Nacht. Numero dos: Als wir am nächsten Morgen erwachten, hatten wir Postkartenwetter. Genau so, wie wir alle uns Patagonien vorgestellt hatten. Stahlblauer Himmel, gestochen scharfe Schneegipfel ringsum, klare Luft. Das ist übrigens ein Phänomen in Patagonien, aber auch im restlichen Chile. Das Wetter wechselt unglaublich schnell. Und ist auch absolut wechselhaft und daher für Wanderer nicht ungefährlich. Ein weiteres Phänomen ist, dass man tagelang im strömenden Regen und Kälte umherwandern kann und kaum kommt die Sonne raus und strahlt vom blauen Himmel, zonk ist das schlechte Wetter vergessen und das innere Kind jubiliert: „Was für ein perfekter Tag!“ So war es auch, als wir am Morgen in den Frühstückssaal mit den Panoramafenstern kamen und sich uns dieser Anblick bot:


In der Gruppe herrschte an diesem Morgen eine „Entdecker-Stimmung“, zumal uns unser weltbester Reiseleiter Fritz bereits am Abend zuvor heiß gemacht hatte, dass uns heute die größte Wanderung der Tour bevorstehen würde: Ein Aufstieg auf den berühmten Mirador del Paine. Eine Wanderung von 7-8 Stunden, unzählige Kilometer galt es zu bezwingen, beachtliche Höhenmeter zu erklimmen. ein bisschen hatte ich Schiss, da ich nicht genau beurteilen konnte, was da jetzt konkret auf mich zukam. Aber zunächst kam eine der schönsten Busfahrten, die ich je gemacht habe. Schaut selbst!



Das gute an Wanderungen, die man nicht kennt, ist, dass man vorher nie so GANZ genau weiß, was auf einen zukommt. Das ist auch gut so. Denn wenn dem so wäre, würde man wohl öfters einfach im Bus oder in der warmen Stube oder am Hotelpool sitzen bleiben. Als wir an diesem Morgen aufbrachen, waren wir zwar alle etwas aufgeregt, aber voller Tatendrang. Fritz war als Reiseleiter ein Realist. Danke dafür, lieber Fritz. So verbreitete er vor einer langen, anstrengenden Wanderung keine Lügen, sondern sagte fast schon brutal Dinge wie:“Heute wird es lange, steil und es wird regnen.“ Vor dieser Wanderung sagte er:“Heute wird es anstrengend. Aber es lohnt sich. Wir werden viel Strecke machen, 7-8 Stunden unterwegs sein, wir werden viele Höhenmeter machen, und die letzten 350 Meter gehen wir steil über Geröll bergauf. Wem das zu viel ist, der kann nach dem 1. Drittel eine Alternativwanderung von 3 Stunden machen.“ So ganz geheuer war mir das nicht, aber ich spürte auch den Kitzel der Herausforderung. Los gings!


Und es ging bergauf, bergauf und dann nochmal ein Stück bergauf. Nach etwa 1 Stunde bergauf beschlossen 2 aus der Gruppe, die Alternativwanderung zu machen. Sofort. „Ach geh ihr Leit,“ grinste Fritz in breitem, österreichischen Dialekt „Jetzt HABTS euch net so. Kommts halt noch a Stückel mit zum Chilenen, machts dort a Brotzeit und entscheidets dann, ob ihr zurückgeht. Zum Chilenen gehts jetzt eine halbe Sunde gemütlich bergab.“ Und auf dem Rückweg wieder bergauf, flüsterte eine Stimme in mir, der ich gleich einen Maulkorb verpasste. Am Chilenen, einer idyllischer Weghütte, angekommen, machten wir eine kleine Vesper, und schon bald blies Fritz zum Abmarsch. 3 beschlossen zurückzugehen, Gatte inklusive, und Fritz nutzte meine Unentschlossenheit aus, um mich zum Weitergehen zu motivieren. Ich fand mich echt mutig, als ich na gut sagte. Und dann ging es weiter, weiter und weiter und höher und bergauf, bergab und immer so weiter, Stunde um Stunde, der Wahnsinn, ich sags euch. Hier und da gab es eine kleine Minirast, bei der man an klaren Bächen und Flüsschen seine Trinkflaschen mit sprudelnd kaltem Trinkwasser auffüllen konnte. Wie im Schlaraffenland.

Und schon gings wieder weiter. Ich hielt erstaunlich gut mit, merkte jedoch, wie sich langsam ein etwas bleiernes Gefühl in meine Beine einschlich. Als wir nach gefühlten 10 Stunden am Beginn des letzten Aufstiegs standen, war ich mir nicht sicher, ob ich es bis zum Ende schaffen würde.

„Na komm schon, du Pinguin, den Rest schaffst du auch noch!“ sprach und verschwand vor mir im Wald, der Fritz. Etwa 30 Minuten ging es auf einem schmalen, Waldpfad steil nach oben, über Baumwurzeln und Steine hinweg, ich hatte das Gefühl, bei jedem Schritt schwerere Beine zu bekommen. Es herrschte ein reger Gegenverkehr von Wanderern, die beschwingt und leichtfüssig den Abstieg herunterhüpften und einem aufmunternde Dinge wie „Almost there!“ zuriefen. „Ich kann nicht mehr, Fritz, ich kehr um!“ rief ich plötzlich. „Aber natürlich kannst du noch. Du wirst doch nicht auf den letzten Metern schlapp machen! Komm, ich helf dir, geh einfach neben mir und in meinem Rhythmus. Na los, linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß, rechter Fuß! Und schau auf gar keinen Fall nach oben!“ Seht ihr da oben die Männeken auf dem Foto? Ja, das sind wir, die Helden des Mirador del Paine.

Und tatsächlich, wie ein linker Fuß, rechter Fuß-Roboter schaffte ich mich Meter für Meter hoch und dann hörte ich Fritz sagen:“So, jetzt kannst du hochschauen, jetzt hast du es geschafft!“ WOW. Der Anblick, der sich mir bot, übertraf meine kühnsten Vorstellungen. Unglaublich!


Da oben herrschte eine Heldenstimmung. Jeder, der es bis hierher geschafft hatte, ließ sich in Siegerpose fotografieren und staunte ansonsten einfach nur glückselig dieses Gipfelparadies an. Wir blieben nicht zu lange, denn vor uns lag ein langer Rückweg, Stunden bergauf, bergab und wieder ein bisschen bergauf, bergab. Aber das machte nichts. Irgendwie waren alle mit Glückshormonen vollgepumpt, und als Fritz uns aufforderte, im eigen Rhythmus zum Bus zurückzumarschieren, er selbst würde den Schlussmann machen, flogen wir buchstäblich den Geröllhang hinab und riefen den schnaufenden Aufsteigern entgegen „Almost there!“ Bald war ich allein, ein wunderbares Gefühl, ich ließ meine Wanderschuhe fliegen und mein Herz hüpfte in meiner Brust herum wie ein junger Vogel. Irgendwann verlor ich das Zeitgefühl und spürte einfach nur meine Beine, die liefen und liefen und ich fühlte mich leicht und frei. „NICHT am Chilenen ausruhen, hörts ihr? Wenns euch ausruht, stehts nie mehr wieder auf!“ gab uns Fritz vor dem Abstieg mit auf den Weg. Tatsächlich schienen mich meine Beine buchstäblich auf die sonnigen Holzbänke zu ziehen wie Magneten, als ich am Chilenen ankam. Aber tapfer widerstand ich der Versuchung und machte nur ein paar Fotos.

Die größte Herausforderung der Strecke folgte stehenden Fußes. Der staubige, schier endlose Anstieg vom Chilen hoch. Vorher erfolgreich verdrängt, lag er nun vor mir wie ein Schreckgespenst. Ich war allein. Also ließ ich meiner schlechten Laune freien Lauf und bewältigte den letzten Anstieg unter Gebrauch meines gesamten Schimpf-Vokabulars. Und ich sag euch, das ist beachtlich. Was solls, wenns hilft! Irgendwann war ich dann oben. Erleichtert schaute ich ins Tal hinab, nun lag nur noch ein wunderbarer Abstieg vor mir, irgendwo im Tal stand der Bus, und mit mir passierte etwas Sonderbares. Von irgendwoher kam ein Powerschub, den ich so noch nicht erlebt hatte. Ich sauste regelrecht mit Riesenschritten an allen vorbei dem Tal entgegen. Sachen gibts. Einmal blieb ich aber stehen. Sachte drehte ich mich, den Blick auf den Gipfel gerichtet, von dem ich gerade kam und dachte daran, dass ich im Jahr 2010, nach meiner schweren Erkrankung in einer Verfassung war, dass ich mich nur mühsam um den Block schleppen konnte. Und jetzt, 3 Jahre später, habe ich diese Wanderung geschafft. Das Leben ist und bleibt ein wunderbares Abenteuer.
